Durst ist etwas, das wir vor allem aus den heissen Monaten sowie bei sportlicher Betätigung kennen. Doch selbst im Winter und an ruhigen Tagen meldet sich früher oder später unser Durstgefühl. Tatsächlich können wir nur funktionieren, wenn unser Körper immer wieder mit Wasser versorgt wird. Er besteht zu 60 bis 80% aus Wasser. Deshalb sind wir ohne Wasser nur wenige Tage überlebensfähig. Obwohl der Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht ist, wird dieser noch immer 900 Millionen Menschen weltweit verwehrt.
Der wohl grösste Schrei nach Durst ist uns aus dem Munde Jesu am Kreuz überliefert: «Danach, da Jesus wusste, dass nun alles vollbracht war, sagte er, damit sich die Schrift erfüllte: Mich dürstet. Ein Gefäss voll Essig stand da. Sie steckten einen Schwamm voll Essig auf einen Ysopzweig und hielten ihn an seinen Mund. Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist» (Joh 19,28).
Jesu Durst
In diesem Ereignis erfüllen sich zwei Worte aus der Schrift: «Für den Durst gaben sie mir Essig zu trinken» (Ps 69,22) sowie «Meine Kraft ist vertrocknet wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen» (Ps 22,16).
Wonach hat Jesus gedürstet? Sicher war es nach dem langen Leidensweg auch ein physischer Durst. Mutter Teresa, die mit ihrer Gemeinschaft das I thirst zum zentralen Leitsatz gemacht hatte, sagte allerdings: «Gott dürstet nach unserer Liebe. Er sehnt sich nach uns. Wenn wir unsren eigenen freien Willen aufgeben und uns SEINEM Willen ergeben, wird er uns benutzen, sein Werkzeug in dieser Welt zu sein, damit unsere Liebe SEINE Liebe für andere sein kann.» In Jesu Schrei drückt sich also seine Sehnsucht nach unserer Hingabe aus. «Wo bist du?» ist einer der ersten Rufe Gottes nach dem Menschen im Paradies (Gen 3,9). Der Frau am Jakobsbrunnen sagte Jesus: «Gib mir zu trinken!» (Joh 4,7) und suchte dabei ihr Herz. Augustinus brachte es so auf den Punkt: «Gottes Sehnsucht ist der Mensch!» Jesus zu trinken geben bedeutet also, uns von ihm lieben zu lassen, seine Gegenwart und seinen Willen zu suchen. Dann kann das Erlösungswerk an uns vollbracht werden («es ist vollbracht»).
Unser Durst
Jesus dürstet auch nach Gott. Er erleidet – ganz als Mensch – unseren Durst nach Gott. Im Psalm 63,2‒3 lesen wir von dieser Sehnsucht: «Gott, mein Gott bist du, dich suche ich, es dürstet nach dir meine Seele. Nach dir schmachtet mein Fleisch wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser. Darum halte ich Ausschau nach dir im Heiligtum, zu sehen deine Macht und Herrlichkeit.» Nicht alle Menschen können die in ihnen liegende Sehnsucht nach Glück, Freude und Sinn in solchen Worten ausdrücken. Deshalb war es ein fester Bestandteil im Leben Mutter Teresas, Jesus nicht nur im Gebet zu trinken zu geben, sondern auch im Dienst an den leidenden Mitmenschen. Dort entdeckte sie den gleichen Christus wie in der eucharistischen Anbetung. In der Begegnung unserer Mitmenschen wird Gott gegenwärtig. Dadurch kann ihr Durst nach Gott gestillt werden. So kann Gottes Reich Realität werden.
Die Quelle aufsuchen
Durst ist nicht etwas Einmaliges, sondern ein Bedürfnis, das sich immer wieder meldet. Nach einem guten Essen sagen wir gerne «ich bin satt». Einen ähnlichen Ausspruch nach dem Trinken kennen wir nicht. Vielleicht weil wir wissen, dass wir zwar das Mittel gegen den Durst gefunden haben, jedoch nur, um bald wieder von Neuem die Quelle aufzusuchen. Es ist diese Verheissung, die uns Jesus gibt, die unser ganzes Suchen und Streben zur Vollendung führt: «Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Wer durstig ist, den werde ich unentgeltlich aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt» (Offb 21,6). Dadurch wird unser Durst gestillt. Und dadurch wird auch Jesu Durst gestillt.
Matthias Willauer-Honegger